21. November 2007

Übersetzer richten weniger Schaden an

"Die Nummer an Fällen ... habe in den vergangenen Jahren bedenklich zugenommen...", zitiert Ulrike Putz heute in Spiegel Online eine Londoner Anwältin. Nein, Frau Putz ist nicht gegen das Wort "Anzahl" allergisch, sie kam bloß nicht auf den Gedanken, dass man "number" im englischen Ausdruck "the number of cases" anders als mit Nummer übersetzen kann. "Number" heißt doch Nummer, oder?

In der deutschen Synchronfassung der Simpsons-Folge "Stresserella" sagt Homer im Vorbeilaufen zu zwei Alten im Park: "Bischof auf Königin vier!", worauf ihm der eine hinterherruft: "Wir spielen Domino, du Idiot!" Im Namen des anderen Alten möchte ich dem Synchronübersetzer zurufen: "Im Schach gibt es keinen Bischof, du Idiot!" Wie kommt der überhaupt auf "Bischof"? Ganz einfach: Auf Englisch heißt der Läufer "bishop". Und "bishop" übersetzt man natürlich mit Bischof, wie denn sonst?

Auf der DVD zum Film Identität, als die Schauspielerin auf die Straße geht, um aus dem Handy-Funkloch zu entkommen, erscheint der deutsche Untertitel: "Keine Bar!" und man fragt sich: "Wieso will die sich denn jetzt besaufen?" Gemeint war: kein Strich (engl. bar) auf der Empfangsqualitätsanzeige des Handys.

Man sollte immer die positive Seite hervorheben. Daher sage ich: "Wie gut, dass diese Leute Übersetzer und nicht Piloten oder Chirurgen geworden sind!"

8. Juli 2007

Politiker und Modalverben

Können, dürfen, mögen, müssen, sollen und wollen -- die deutsche Sprache kennt sechs Modalverben, mit denen man Möglichkeiten, Ge- und Verbote, Erlaubnisse und Wünsche ausdrücken kann. Zum Beispiel darf und sollte ich öfter Sellerie essen, ich will aber nicht. Auch will ich morgen nicht arbeiten, ich muss aber. Ich kann dem Nachbarsjungen das Handy mit den nervigen Klingeltönen wegnehmen und in den Fluss werfen, darf aber nicht. Eigentlich ganz einfach.
In letzter Zeit häufen sich aber bei unseren Politikern die Verwechslungen der Verben können und dürfen, und zwar derart, dass können statt dürfen verwendet wird.

Vom aussichtslosen Kampf vieler Politiker mit den deutschen Modalverben zeugt beispielhaft ein Spiegel-Online-Artikel vom heutigen Tag, in dem Roland Koch zu Wort kommt:
Koch bezog sich damit auf die Überlegungen der Bundesregierung, bestimmte deutsche Schlüsselindustrien per Gesetz vor einem Verkauf an ausländische Staatsfonds zu schützen. "Die Lage ist viel bedrohlicher, als manche denken", erklärte der Christdemokrat. Die Regierungen in Moskau und Peking hätten "gigantisches Kapital". Unternehmen könnten andere Firmen kaufen. "Aber es kann nicht sein, dass zum Beispiel von uns in Deutschland privatisierte Unternehmen, beispielsweise in der Energiewirtschaft, auf einmal ausländischen Regierungen gehören."
Wenn es nicht sein kann, na dann ist ja alles in Butter! Denkt man. Aber nicht Roland K.:
Deshalb verlangte Koch einen gesetzlichen Schutz vor unerwünschten Investoren aus dem Ausland.
Roland K. will uns also vor etwas schützen, was nach seiner eigenen Aussage gar nicht passieren kann. Hat er nichts zu tun? Man darf und muss wohl annehmen, dass er sagen wollte, es dürfe nicht sein, dass privatisierte Unternehmen auf einmal ausländischen Regierungen gehören. Leider konnte er es nicht sagen.

29. Juni 2007

Sprachwandel

Zum Leidwesen der Sprachpuristen, Regelfanatiker und Besserwisser hat sich auch in den letzten Jahrzehnten die deutsche Sprache weiter verändert. Das können die Besitzstandswahrer von Regelwerken gar nicht leiden, wenn mal wieder eine ihrer mühsam auswendig gelernten Regeln obsolet wird.
Das anschaulichste Beispiel der letzten Jahre ist der Genitiv mit Apostroph, auch sächsischer Genitiv oder Deppen-Apostroph genannt.

Um etwa 1990 fing es an schick zu werden, Imbissstände und Billigläden mit Namen wie "Erika's Pommesbude" oder "Jaqueline's Kleiderkiste" zu benennen. Die Zeitschrift Titanic und viele andere ernährten in der Folgezeit eine ganze Armee von Schreibern damit, eine endlose Zahl von Artikeln zu veröffentlichen, in denen man sich über diese Mode lustig machte.

Geholfen hat es leider nicht. In der sechsten Auflage der Duden-Grammatik von 1998 heißt es (S. 243):
Gelegentlich wird das Genitiv-s zur Verdeutlichung der Grundform des Namens auch durch einen Apostroph abgesetzt:
   Andrea's Blumenecke
Die "Dummen" sind nämlich in der Mehrheit, und da Sprache eine soziale Angelegenheit ist, deren Normen von der Gemeinschaft der Sprecher ständig neu ausgehandelt werden, ist "Korrektheit" nichts anderes als eine demokratische Mehrheitsentscheidung.

Sinn und Zweck von Rechtschreib-Normen ist, dass alle sich daran halten, dass also alle gleich schreiben. Und das tun sie ja! Praktisch alle Pommesbudenbesitzer benutzen ein Genitiv-Apostroph. Die Normierer haben also gar keinen Grund, sich zu beschweren. Schlimm wäre es, wenn jeder schreibt, wie's ihm gerade passt, heute so und morgen so. Dann könnte bald keiner mehr entziffern, was der andere geschrieben hat. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr ist die überaus rasante Verbreitung des Genitiv-Apostrophs das beste Beispiel für eine funktionierende Sprache, mit Sprechern, die genau darauf achten, was um sie herum vorgeht. Einige fangen etwas Neues an, und innerhalb kürzester Zeit wird es von allen übernommen. Schnell ist ein neuer stabiler Zustand erreicht. Wenn sich jetzt die Nörgler nicht schleunigst anpassen, kommen sie unter die Räder, da können sie sich noch so echauffieren und mit veralteten Duden-Ausgaben wedeln.

25. Juni 2007

Bewerbung




Sehr geehrte Damen und Herren,

aus Ihrer Stellenanzeige in der Zeitschrift c't vom 25. Juni 2007 geht hervor, dass Ihre Firma neben einem Berater für IT-Sicherheit dringend einen Germanisten benötigt. Daher bewerbe ich mich hiermit als Berater Ihrer Presseabteilung. Meine jahrzehntelange Erfahrung im termingerechten Verfassen von Texten zu unterschiedlichsten Themen und Anlässen, sowie meine umfassenden Rechtschreibkenntnisse werden Ihnen sicher von großem Nutzen sein.

Mit freundlichen Grüßen,
tris

7. Februar 2007

Ein brandneuer Tag

Spiegel Online berichtet uns heute den Ausspruch eines amerikanischen Anwalts:
"Heute ist ein brandneuer Tag!" (Spiegel Online, 7.2.2007)
Spiegel Online ist restlos begeistert von dieser Erkenntnis und zitiert den Spruch nicht nur im Artikeltext, sondern bringt ihn auch noch als Bildunterschrift.

Das beste daran hat der Verfasser aber gar nicht bemerkt: Morgen (8.2.) ist schon wieder ein brandneuer Tag! Und das allerbeste: Der morgige Tag wird sogar noch großbrandneuer sein als der Tag heute!

Hoffentlich kommen die Redakteure beim Spiegel nicht darauf, dass sie diese Meldung jeden Tag bringen können: Donnerstag: "Sensation! Schon wieder ein brandneuer Tag!", Freitag: "Erneut megabrandneuer Tag angebrochen!", Samstag: "Und wieder begrüßt uns ein ultrabrandneuer Tag! Wie lange kann diese Serie anhalten? Wissenschaftler warnen bereits vor zuviel Euphorie"...

30. Januar 2007

Beinschuss

Was stimmt nicht an den folgenden Zitaten?
Mölln: Polizist wehrt Angriff eines Einbrechers mit Beinschuss ab (NDR)

Pizarro verpasst Dober einen Beinschuss, der sich aber direkt rächt und den Peruaner zu Fall bringt. (Kicker)

Bauer mit Beinschuss gestoppt - Mit einem Schuss in den Oberschenkel hat ein Polizist im unterfränkischen Ebern den Wutanfall eines Landwirts beendet. (Focus)

Der Brasilianer fackelt nicht lange und überwindet Fiedler mit einem Beinschuss. (Kicker)
Das Wort Beinschuss hat hier zwei unterschiedliche Bedeutungen. Einmal der Schuss ins Bein, dazu gibt es nichts weiter zu sagen. Relativ neu ist die zweite Bedeutung im Fußball: ein Beinschuss ist ein Schuss durch die Beine des Gegners. Der erste Beleg bei kicker.de findet sich in einem Spielbericht von 2000. Früher sagte man: der Gegner wurde getunnelt, jetzt: er erhielt einen Beinschuss.

Was mich daran stört? Wenn ein Schuss zwischen den Beinen hindurch ein Beinschuss ist, dann müsste man analog einen Schuss ins Tor als Pfostenschuss bezeichnen. Und das ist doch totaler Quatsch.

10. Januar 2007

Böses Atom, guter Kern

Wer denkt, "Atomkraftwerk" und "Kernkraftwerk" seien Synonyme, der irrt. Wer eines dieser Wörter gebraucht, der entlarvt sich sofort als Befürworter oder Gegner dieser Energieerzeugungsmethode.

Zu Beginn sprachen alle noch von der Atomkraft. So bildete die Regierung Adenauer 1955 das Bundesministerium für Atomfragen, Atomminister wurde Franz-Josef Strauß. Aber schon 1957 wurde Siegfried Balke (CSU) Bundesminister für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft. Das war erstens wissenschaftlich präziser, weil im Kraftwerk eine Kernspaltung durchgeführt wird, und keine Atomspaltung, zweitens wollte man vermeiden, dass die "friedliche Nutzung der Atomenergie" mit der negativ besetzten Atombombe assoziiert wird. Es bot sich die Bezeichnung "Kernkraft" an, weil es keine "Kernbomben" gibt.

In den 70er Jahren hatte man sich auf Seiten der Befürworter ganz vom Atom verabschiedet und sprach ausschließlich von Kernkraft, während die Anti-Atom-Bewegung mit voller Absicht das Wort "Atomkraft" gebrauchte. Das Grundsatzprogramm der CDU von 1978 enthält zwei Mal das Wort "Kernenergie", "Atomenergie" oder "Atomkraft" kommen dagegen nicht vor. Auch in der Regierungserklärung von Franz-Josef Strauß 1986 vor dem bayerischen Landtag anlässlich der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl fällt sechs Mal das Wort "Kernenergie" und vier Mal "Kernkraft" bzw. "Kernkraftwerk", "Atomenergie" oder "Atomkraft" tauchen nicht auf.

Anhand der Vorkommenshäufigkeiten in aktuellen Programmen und Beschlüssen der Parteien kann man sehen, dass die Wortwahl eindeutig politisch motiviert ist und mit Physik rein gar nichts zu tun hat:









Atomkraft
(-werk)
Atom-
energie
Kernkraft
(-werk)
Kern-
energie
Grundsatzprogramm
der CDU 1994
0 0 1 3
Parteitagsbeschluss
CDU 2004
0 0 2 3
Grundsatzprogramm
CSU
0 0 2 2
Wahlprogramm
FDP 2005
0 0 2 5
Grundsatzprogramm
SPD 1989/1998
2 0 0 0
Parteitagsbeschluss
SPD 2005
2 3 0 0
Grundsatzprogramm
der Grünen
9 3 0 0

Eine klare Sache. Um solch eine begriffliche Disziplin zu gewährleisten, muss man Terminologie-Managementsoftware einsetzen, die bei "politisch unkorrektem" Gebrauch sofort Alarm schlägt: "Bitte benutzen Sie anstelle von Atomkraft das Wort Kernkraft!" bzw. umgekehrt. Wie gern würde ich in diese Listen unerwünschter Wörter mal einen Blick werfen...

Wer sich also vor einem GAU fürchtet und ob der ungelösten Entsorgungsfrage schlaflose Nächte hat, der sage bitte "Atomkraftwerk", wer auf die Leistung der Ingenieure vertraut und nichts gegen eine Laufzeitverlängerung einzuwenden hat, der rede bitte von "Kernkraftwerk".