15. Dezember 2006

Die Kunst, Recht zu behalten

Auf Seite eins des Tagesspiegels schreibt Harald Martenstein unter der Überschrift Arm oder zynisch? folgende Sätze:
"Das Leben ist ungerecht - auch so ein zynischer, aber leider wahrer Satz. Die Versuche, dem Leben seine Ungerechtigkeit restlos auszutreiben, haben allerdings immer in der Tyrannei geendet."
Und ich Trottel habe heute der Nonne, die um Spenden für eine Suppenküche bat, zwei Euro gegeben! Harald Martenstein dagegen hätte richtig gehandelt. Er hätte ihr die Sammelbüchse aus der Hand geschlagen und sie angeschrien: "Tyrannin!"

Was H. Martenstein hier abliefert, ist ein freches Beispiel für den Kunstgriff 13 aus Arthur Schopenhauers Argumentationsanleitung Die Kunst, Recht zu behalten. Schopenhauer schreibt dort:
"Um zu machen, daß er einen Satz annimmt," (Das Leben ist ungerecht)
"müssen wir das Gegenteil dazu geben und ihm die Wahl lassen, und dies Gegenteil recht grell aussprechen," (Die Versuche, dem Leben seine Ungerechtigkeit restlos auszutreiben, haben allerdings immer in der Tyrannei geendet)
"so daß er, um nicht paradox zu sein, in unsern Satz eingehen muß, der ganz probabel dagegen aussieht."
H. Martenstein kennt aber noch weitere Kunstgriffe. Im nächsten Absatz liest man:
"Die Nichtzyniker rufen dann immer: Nehmt es den Reichen! Nehmt es Ackermann! Sicher, Manager-, Popstar- und Fußballereinkommen sind absurd hoch. Interessanterweise möchte aber auch von den Nichtzynikern fast niemand in einer Gesellschaft leben, in der alle das Gleiche verdienen und in der sie, die Nichtzyniker, keinerlei Chance auf Aufstieg, vielleicht sogar auf Reichtum besitzen."
Wer fordert, den Reichen müssten die Steuern erhöht werden, dem unterstellt Martenstein ganz unverschämt, er wolle, dass alle das Gleiche verdienen und es keine Chancen auf Aufstieg gibt, obwohl das sicher niemand gefordert hat. Das ist ein Beispiel für Schopenhauers Kunstgriff 24:
"Man erzwingt aus dem Satze des Gegners durch falsche Folgerungen und Verdrehung der Begriffe Sätze, die nicht darin liegen und gar nicht die Meinung des Gegners sind, hingegen absurd oder gefährlich sind: da es nun scheint, daß aus seinem Satze solche Sätze, die entweder sich selbst oder anerkannten Wahrheiten widersprechen, hervorgehn; so gilt dies für eine indirekte Widerlegung..."
Dass H. Martenstein seine erstaunliche Vermutung,
"dass es perfekte Gerechtigkeit wahrscheinlich nur in der Hölle gibt,"
dort bald selbst überprüfen kann, das wünschen wir ihm dennoch nicht.

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