20. Februar 2016

Der sprachliche Kampf um den Flüchtling

In der Süddeutschen lässt sich eine Linguistin namens Elisabeth Wehling über das Wort Flüchtling aus, allerdings verstehen sie und ich wohl nicht das gleiche unter Linguistik.

Zuerst beklagt sie, dass durch die Endung -ling die durch das Wort Flüchtling bezeichnete Person als klein und schwach dargestellt wird:
Mit der Endung "-ling" wird der Flüchtende klein gemacht, abgewertet. Klein sein steht metaphorisch oft für die Idee des Schlechtseins oder des Minderwertigseins.
Die meisten Wortbildungsmuster unterteilen sich in mehrere Untermuster mit jeweils eigenen semantischen Motivierungen. Oft geht das mit Ausgangswörtern unterschiedlichen Typs einher. Das Bildungsmuster mit -ling weist folgende Unterteilungen auf, wenn das Ausgangswort ein Verb ist (nach Fleischer/Barz 1995, S. 164):
  • Person, auf die sich die im Verb ausgedrückte Tätigkeit bezieht (Nomen patientis): lehren - Lehrling, prüfen - Prüfling, lieben - Liebling.
  • Person, die etwas tut (Nomen agentis): saugen - Säugling, flüchten - Flüchtling; synonymisch zum substantivierten Partizip I: Ankömmling - der Ankommende; z.T. mit pejorativer Konnotation: Emporkömmling.
Der Flüchtling ist also ein Agens, jemand der handelt; im Gegensatz zum ersten Muster, das jemanden bezeichnet, dem etwas widerfährt. Das Agens-Muster hat nichts mit klein sein zu tun, da wirft Frau Wehling munter alles durcheinander, vor allem ein weiteres Muster mit einem Adjektiv als Ausgangswort (winzig - Winzling, Kümmerling, Jämmerling). Was bleibt, ist die mögliche pejorative (abwertende) Konnotation. Die kommt aber nicht zwangsweise durch die Endung -ling zustande, siehe das Gegenbeispiel Säugling. Eine Konnotation erwirbt ein Wort vielmehr durch die Kontexte, in denen es gebraucht wird. Und daher kann auch eine Umbenennung in das synonymische Flüchtende nicht dauerhaft helfen.

Sodann beschwert sich Frau Wehling über den maskulinen Genus des Wortes Flüchtling:
 Außerdem ist der Flüchtling ein männliches Konzept.
Denn:
Die Forschung zeigt, dass das enkodierte Geschlecht, also das einem Begriff zugerechnete Geschlecht, die Wahrnehmung des Begriffs beeinflusst. In einem Versuch hat man Deutschen und Spaniern das identische Bild einer Brücke gezeigt. Im Deutschen ist die Brücke weiblich, im Spanischen ist el puente männlich. Die Versuchsteilnehmer wurden dann gebeten, zu beschreiben, was eine Brücke ist. Die Deutschen nannten typisch weibliche Attribute: grazil, schön, verbindend. Die Spanier listeten stereotyp männliche Merkmale auf: robust, schroff, hart.
Klar. Der Spaten: robust, schroff, hart. Dagegen die Schaufel: weich und grazil.

Flüchtling ist also eine ganz schlechte Bezeichnung, denn damit wird die betreffende Person klein und schwach und gleichzeitig hart und aggressiv dargestellt. Suchen Sie sich was aus!

Wolfgang Fleischer u. Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1995.