30. Oktober 2009

Reise von Beijing nach Peking

Wenn ich schon mal in Fahrt bin, kann ich meiner gestrigen Polemik über die "saudämliche" Englischschreibung fremdsprachiger Namen im Deutschen gleich noch ein paar Beispiele hinzufügen:

Hier, hier und hier ist von "Beijing" die Rede, wo eigentlich Peking gemeint ist. Das Gruselige daran: anscheinend ist den Autoren überhaupt nicht klar, dass es sich bei "Beijing" um Peking handelt.

Mindestens die Hälfte der Leute schreibt ja auch "Tokyo" statt Tokio, wenngleich sich das seit dem Erfolg der Hotel-Band etwas verbessert hat.

Selbstverständlich muss die indische Hauptstadt "New Delhi" heißen (bei der Frankfurter Rundschau, der Mainzer Allgemeinen Zeitung, dem Focus usw.), wer "Neu-Delhi" sagt, ist ja sowas von Old School, der sagt bestimmt auch Mexiko-Stadt anstelle des wesentlich cooleren "Mexico City" (Abendzeitung).

Als nächstes bekämen jetzt "Zimbabwe" (Simbabwe), "Tanzania" (Tansania) und "Singapore" (Singapur) ihr Fett weg, aber ich hab' keine Lust mehr.

29. Oktober 2009

Warum schreibt man koreanische Namen in deutschen Texten auf Englisch?

Gestern schlug ich vor, als Medizin gegen das sich ausbreitende Deppenleerzeichen statt "New York" einfach wieder "Neuyork" zu schreiben. So abwegig ist das gar nicht! Denn wie schreiben denn die Spanier New York? Natürlich Nueva York! Überhaupt werden in den meisten Sprachen englische Wörter ganz selbstverständlich an die jeweilige Schreibweise angepasst. Zwei Beispiele aus dem Tschechischblog sind "byznys" (business) und "koktejl" (cocktail).

Die Deutschen übertreiben es mal wieder in die andere Richtung. Mittlerweile weiß man gar nicht mehr, wie man manche Namen aus der Zeitung aussprechen soll. Zum Beispiel heißt der UN-Chef Ban Ki Mun, wird aber meistens "Moon" geschrieben. Das heißt, man soll den Namen des Koreaners auf Deutsch so aussprechen, als sei es Englisch, oder was? Konsequenterweise müsste man den Namen aber dann "Bän Kei Muhn" aussprechen und nicht "Bann Ki Muhn". Stattdessen soll man anscheinend die beiden ersten Wörter deutsch, das dritte aber so aussprechen, als läse man Englisch. Na klar, wenn's weiter nichts ist! Genauso bescheuert ist die pseudo-englische Schreibung von El-Kaida in Spiegel-Online: "Al-Qaida". Wenn man jetzt so tut, als läse man Englisch, kommt dabei heraus: "Äl Ka-i-da" bzw. El-Kaida. Na ja: warum einfach, wenn es auch saudämlich geht? Mittlerweile sagen die meisten Leute gar nicht mehr El-Kaida, sondern "All-Kaida". Schweine im Weltall! Weiteres Beispiel: Der arabische Nachrichtensender heißt wahlweise "Al Jazeera", "Al Dschasira" oder "El Dschasira", jeweils mit oder ohne Bindestrich. Entscheidet euch doch wenigstens mal für Deutsch oder Englisch!

Demnächst lesen wir in der Zeitung: Mikhail Gorbachevs Besuch in Munich, sowie ein Bericht über den Ex-Kanzler Schroder. Und wir erfahren etwas über die drei größten chinesischen Städte: Schanghai, Peking und Beijing.

28. Oktober 2009

Neuyorker Deppenleerzeichen

Die Ursache für das sich ausbreitende Deppenleerzeichen scheint klar zu sein: Wer "New York", "Open Source" und "Digital Divide" schreibt, schreibt eben irgendwann auch "Softeis Liebhaber". Zum Einwand, wie man "New York" denn sonst schreiben solle, hier ein Ausschnitt aus dem Duden von 1906:



Heute gibt es soviele englische Begriffe, die einfach 1:1 übernommen werden, dass deren Schreibweise auf die Schreibung deutscher Wörter übergreift. Deswegen findet man bald mehr "CDU Politiker" als "CDU-Politiker". Ist nur konsequent, schließlich schreibt man auch "Windows Vista", oder?

Zum Thema Deppenleerzeichen gibt es einen StarTrek-Beitrag über einen Borg namens Würfel:
Obwohl sich Chakotay gegen die Zusammenarbeit ausspricht, fliegen Janeway und Tuvok zum Borg Würfel.
(TV-Programm der Rheinischen Post)
Hier endet das heutige Posting, ich schaue mir jetzt eine DVD an: Der 200 Jahre Mann (interessant ist die Diskussionsseite zum Wikipedia-Artikel).

27. Oktober 2009

Rätselhaftes Deppenleerzeichen

Vor drei Jahren versuchte ich eine Regel zu finden, die erklären würde, wann ein Bindestrich und wann dagegen ein "Deppenleerzeichen" gesetzt wird. Leider fand ich keinerlei Logik hinter den gesichteten Beispielen und diagnostizierte, für die Deppenleerzeichensetzer sei Rechtschreibung eben Glückssache. Jetzt inspirierte mich ein Text aus dem Berlin-Magazin 030 (Ausgabe 22/2009, S.57) zum Aufstellen einer neuen Regel. Im Text heißt es zunächst ganz normal:
In einigen US-Bundesstaaten war...
worauf dann drei Deppenleerzeichen folgen:
Aber Obacht ostdeutsche Softeis Liebhaber, ...
... neben den Berliner Elektrohouse DJs...
... in kurzatmiger Twitter Mainier...
(Der Rechtschreibfehler in Manier ist nicht von mir.) Aber dann kommt's:
Die All-You-Can-Eat-Party-Portion kostet 5 Euro.
Deshalb der neueste Versuch einer Deppenleerzeichenregel: Die Anzahl der Bindestriche in einem Text darf sechs nicht überschreiten. Von der Haltbarkeit meiner Regel bin ich allerdings wenig überzeugt.

26. Oktober 2009

Sprachliche Fossilien

Ein lärmempfindlicher, unter Schlaflosigkeit leidender Ingenieur sagte mal, es hieße Nachtigall, weil die einem mit ihrem Gezwitscher die Nacht vergällt. Ich erklärte ihm, das "gall" stamme vom germanischen Verb galan (singen).

Für sich allein ist das Wort galan lange ausgestorben, nur in dieser Wortverbindung hat es sich erhalten. Solche sprachlichen Fossilien (der linguistische Terminus ist unikales Morphem) gibt es viele: Schornstein, Brombeere, Himbeere, Bräutigam, Unflat, Sperling, glimpflich.
Wörter können auch in Redewendungen erhalten bleiben: in "mit Kind und Kegel" bezeichnet der Kegel keine Holzfigur, sondern ist das mittelhochdeutsche Wort für "uneheliches Kind". Und der "Fronleichnam" ist nicht der "happy cadaver day", wie ein Schulfreund von mir flapsig sagte, sondern der Leichnam des Herrn, genauso wie der "Frondienst" der Dienst für den Herrn ist.

23. Oktober 2009

Chatten in den Achtzigern

Gestern schrieb ich, das Auftauchen neuer Wörter verrate etwas über das Erscheinungsdatum der durch sie bezeichneten Gegenstände. Daher heute die Frage: Seit wann wird eigentlich gechattet?

Eine Recherche in meiner Sammlung altertümlicher Computerzeitschriften aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts brachte folgende Fundstelle zu Tage:
Kurz darauf haben wir einen Michael aus Deutschland auf dem Bildschirm, der genauso gern wie wir in ausländischen Mailboxen herumstöbert. Man sieht doch, wie klein die Welt ist. Selbstverständlich kann man sich nicht nur mit einem Teilnehmer unterhalten, sondern eine komplette Konferenz eröffnen und andere Teilnehmer dazu einladen. Im Hackerdeutsch heißt das Sprechen mit anderen über den Computer "Chatten".
(64'er - Das Magazin für Computer-Fans, Ausgabe März 1986 vom 14.2.1986, "Datenfernübertragung - Der moderne Weg ins Abenteuer", S. 37)
Daher behaupte ich mal: in Deutschland wird seit mindestens 1986 gechattet. Oder findet jemand einen älteren Beleg?

22. Oktober 2009

Neue Dinge, neue Wörter

Kommen neue Erfindungen oder Moden zu uns, bringen sie oft auch das Wort mit, mit dem sie im Herkunftsland bezeichnet werden. Im EDV-Bereich gibt es dafür zahlreiche Beispiele: Computer, Hacker, Internet, World Wide Web, Browser etc. Andere Bezeichnungen werden dagegen nicht übernommen, sondern übersetzt: Suchmaschine, Mauszeiger, Drucker. Wieder anders ist es beim "Handy": das Wort sieht zwar Englisch aus, ist aber in englischsprachigen Ländern mit dieser Bedeutung unbekannt.

Interessant am Auftauchen solcher Neologismen ist, dass sie es erlauben, das Auftauchen und die Verbreitung der durch sie bezeichneten Gegenstände zu verfolgen. Das sei hier am Beispiel "Handy" vorgeführt. Die Grafik zeigt die Anzahl der Treffer für die Anfrage "Handys OR Handies" auf der taz-Archiv-CDROM, auf der 680.000 taz-Artikel von 1986 bis 2000 gespeichert sind. Die ersten Artikel, in denen Handys erwähnt werden, tauchen demnach 1993 auf, danach steigt die Zahl der Erwähnungen rasant an. In der Duden-Ausgabe von 1996 ist "Handy" erstmals verzeichnet.




Zum Schluss noch zwei exemplarische Belegstellen aus dem Jahr 1993:
Es wird reichlich telefoniert in diesem "Tatort". Besonders mit diesen neuen "Handies", die man bei jenen jungen Geschäftsleuten sieht, die sich in der Einkaufspassage immer das eine Ohr zuhalten und besonders wichtige Dinge in ihr handgroßes Funktelefon sprechen. (taz, 23.11.1993)
Im Mittelpunkt des Interesses: Handys. Sie sind bis zu 285 Gramm leicht. Das neue Statussymbol für die Westentasche ist ab 2000 Mark zu haben. (taz, 31.3.1993)

21. Oktober 2009

Gestern Deuzösisch, heute Denglish, morgen Deunesisch?

Groß ist die Zahl pseudo-englischer Wörter, die jeden Tag (v)erbrochen
werden. Ebenso groß ist die Zahl derjenigen, die davon genervt sind
(z.B. VDS oder hier).

Liebe Genervte, nehmt einen Moment die Petersilie aus den Ohren für folgende Durchsage: Die allermeisten englischen Wörter werden wieder verschwinden, genauso wie die vielen französischen Wörter verschwunden sind. Noch vor hundert Jahren nämlich sprachen Leute mit Bildung selbstverständlich französisch. Die Alltagssprache war deshalb durchsetzt mit französischen Wörtern, so wie heute mit englischen. Konrad Duden schrieb 1880 im Vorwort zur ersten Auflage seines orthographischen Wörterbuchs:
Insbesondere bemerke ich noch, daß wir glauben, im Sinne der Regierung entschieden zu haben, wenn wir mitten in den Wörtern weder französische [...] Lettern, noch auch Accente zugelassen haben. Wie "Barriere", "Carriere", so findet man also auch "Portiere", "Lisiere" und ähnliche, ferner "Tete", "Enquete", "Manege" und "Barege" ohne Accent." (S. XIII)
Wörter wie "Lisiere" oder "Barege" sind heute aus dem Sprachgebrauch verschwunden, Konrad Duden erschienen sie aber wichtig genug, um sie in seine lediglich 27.000 Einträge umfassende Liste deutscher Wörter aufzunehmen. Weitere, heute ungeläufige französische Beispielwörter finden sich im 1880er Duden zuhauf: "Accouchement", "Accoucheur" und "accouchieren", "Bignonie", "Billetdour", "Brouillon", "brouillieren", ... usw.

An die Denglishgenervten ergeht daher folgender Tipp: Ohren zu und durch! In hundert Jahren sind die englischen Wörter fast alle weg. Dafür kommt dann wohl die Invasion der chinesischen Wörter... Aber lieber die als der billige Plunder, mit dem sie uns heute eindecken.

20. Oktober 2009

Übersetzer und Technik

In der deutschen Fassung von Terminator 2 (1991) behauptet der Terminator: "Ich habe einen Prozessor mit neutralem Netz." Lange habe ich gegrübelt, was das wohl bedeuten soll. Erst die DVD mit der englischen Originalversion brachte die Auflösung. Dort erklärt Arnie, er besitze einen Prozessor "with a neural net".

Insbesondere die lautliche Ähnlichkeit von Silizium (engl. silicon, verwendet zur Herstellung von Computerchips) und Silikon (engl. silicone, daraus macht man z.B. Dichtungen) im Englischen ist verantwortlich dafür, dass in deutschen Übersetzungen massenhaft Gummi-Chips ihr wunderliches Wesen treiben. So auch im 1985er James Bond "Im Angesicht des Todes", wo dem armen Q folgende Worte in den Mund synchronisiert werden: "Was Sie hier sehen, ist ein Chip aus Silikon."

Ein anderes schönes Beispiel ist Reinhard Heinz' Übersetzung des Cyberpunk-Kultromans "Neuromancer" (1987, Heyne-Verlag), wo durchweg von Silikon-Chips die Rede ist. Immerhin entstehen dadurch einige unfreiwillig komische Stellen:
"He, Case, Sportsfreund, ich habe den starken Eindruck, daß deine Begleiterin da bewaffnet ist und außerdem 'ne hübsche Menge Silikon im Kopf hat." (S. 54)
Ja, die Frauen der Zukunft haben auch im Kopf Silikon, wozu auch immer (womöglich eine Art Depot, das mit dem in der Brust verbunden ist. Auf diese Weise kann vielleicht durch Umpumpen der Brustumfang je nach Anlass reguliert werden?).

Ich mach' jetzt lieber Schluss für heute...

19. Oktober 2009

Steckt man nicht drin!

Redensarten dürfen nicht wörtlich verstanden werden (und deswegen auch
nicht Wort-für-Wort übersetzt werden). Zum Beispiel hat die Redensart vom Elefanten im Porzellanladen nichts mit Zoologie zu tun. In manchen Kontexten drängt sich aber eine wörtliche Interpretation auf, und dann kann die Formulierung ganz schön in die Hose gehen.

Ein Beispiel dafür bietet folgender Dialog, den ich auf der Wochenbettstation des Neuköllner Krankenhauses mitanhören durfte. Ich saß mit Baby auf dem Arm im Zimmer, meine Frau war nicht da, die türkische Mitpatientin im Zimmer bekam gerade von einem Physiotherapeuten Gymnastikübungen gezeigt. (Achtung, jetzt wird's anatomisch!) Nach der Übung zur Festigung des Beckenbodens kam eine Übung zur Festigung der Schließmuskeln. Der Physiotherapeut: "So, und jetzt schließen Sie mal die Vaginamuskeln."
Türkische Patientin: "Und wie mache ich das?"
Physiotherapeut: "Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, ich steck ja leider nicht drin!"
Schade!